· 

Humboldt Forum Berlin: Bibel-Verbot mit Claudia Roth?

Humboldt Forum Berlin - Stadtschloss mit umstrittenen Texten aus der Bibel an der Kuppel

Immer Ärger mit dem Stadtschloss: Die Bundesregierung will einen Bibeltext am Humboldt Forum verhüllen, behauptet ein Kommentar von BILD-Chef Johannes Boje Anfang November 2022. Natürlich lässt es sich Deutschlands oberstes Hetzblatt nicht nehmen, das Ganze in einen Zusammenhang mit dem Islam zu stellen:

 

"In Berlin lässt Claudia Roth eine christliche Inschrift auf dem wieder aufgebauten Stadtschloss verhüllen. Und in Köln ruft seit ein paar Tagen der Muezzin". Der Islam werde gefördert und das Christentum zurückgedrängt (Boje, 2022).

 

Auch Gunnar Schupelius von der B.Z. haut in die selbe Kerbe. Die Beauftragte der Bundesregie­rung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), wolle "die Bibelworte dort verschwinden lassen und mit anderen Texten überschreiben," Claudia Roth ziehe gegen Worte zu Felde, die seit 2.000 Jahren in der Bibel stünden und die sie gar nicht verstanden habe, so das Blatt. (Schupelius, 2022). 

 

Sehen wir also demnächst von der Rikscha aus, wie die Kulturstaatsministern Claudia Roth mit Eimer und Farbe bewaffnet an der Kuppel auf dem Humboldt Forum hinaufklettert und Bibeltexte übermalt? Ich muss zugeben: Ich würde Exklusiv-Fahrten anbieten und für das Spektakel natürlich einen Aufpreis nehmen. Aber - Achtung Spoiler - dem ist nicht so. Was hat es also damit auf sich?

Der Reihe nach: Worum geht es hier genau?

Das Humboldt Forum ist ein hochmoderner 680 Mio. teurer Museumsbau, der 2020 an der Stelle des abgerissenen Palastes der Republik aus der DDR-Zeit errichtet wurde. Das Humboldt Forum wurde auf dem Grundriss des wiederum an selber Stelle 1950 gesprengten Stadtschlosses der Hohenzollernmonarchie errichtet. Beim Neubau wurde die Schlossfassade an drei Seiten, sowie der historische Schlüterhof und die Schlosskuppel nach historischem Vorbild nachgebaut.

 

Wegen der christlichen Symbolik mit Kreuz und umlaufender Inschrift an der Kuppel ist seit Ende der 2010'er Jahre ein heftiger Streit entstanden. Vor allem geht es darum, dass im Gebäude ethnologische Ausstellungen des Völkerkundemuseums ein neues Zuhause gefunden haben. Auch hier gibt es z.B. bei den sogenannten Benin-Bronzen eine Diskussion um die koloniale Vergangenheit von Ausstellungsstücken. Die detailgetreue Rekonstruktion der Schlosskuppel setzt dem Ganzen noch eines drauf: Denn Kreuz und eine an der Kuppel umlaufende Inschrift formulieren auf einem profanen Gebäude wortwörtlich einen Herrschaftsanspruch des Christentums.

 

Nein, Claudia Roth möchte deswegen nicht die Bibel verbieten. Im Gegenteil. Das Humboldt Forum stellt sich diesen Fragen. Eine Form der Auseinandersetzung mit der Kritik am Schloss ist ein temporäres Kunstprojekt, welches den umstrittenen Text an der Kuppel nachts mit einer LED Leuchtschrift überblenden will. Claudia Roth hat im Herbst 2022 lediglich auf eine parlamentarische Anfrage der CDU dazu geantwortet und das Projekt verteidigt. Als Kulturstaatsministerin ist sie auch Stiftungsratsvorsitzende im Humboldt Forum und macht somit einfach ihren Job. Die Initiative ging vom Humboldt Forum selbst aus. Die Idee stammt von einer Initiative "Leuchtturm Berlin". (Der Spiegel, 2023)

Ein bisschen Theologie muss ein: Was steht eigentlich auf der Kuppel?

»Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.« 

 

Wer diesen Text in der Bibel sucht, der sucht vergebens. Denn es handelt sich gar nicht um ein Zitat aus der Heiligen Schrift. Der Autor ist der preußische König Friedrich Wilhelm der IV. Dieser hatte Mitte des 19. Jh. den Bau der Schlosskuppel in Auftrag gegeben und höchstselbst die christliche Symbolik vorgegeben. Bei dem Text handelt es sich um eine freie Komposition und Zusammenstellung von zwei Versen aus der Bibel, die an ganz unterschiedlichen Stellen und in einem ganz anderen Zusammenhang stehen:

  • Apostelgeschichte 4, 12: ""Und in keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden."" 
  • Philipper 2,10: "(...) dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, (...)"

Die beiden Stellen stammen aus der Frühzeit des Christentums, in der von einer kulturellen Dominanz noch keine Rede sein kann. Im Gegenteil. Den Autoren geht es jeweils darum, den Leserinnen und Lesern aus den christlichen Gemeinden Mut zu machen in einem Umfeld, in dem sie sich Anfeindungen und Verfolgung gegenübergestellt sehen. Sie sollten als religiöse Minderheit eben nicht vor dem Kaiserkult des römischen Staates die Knie beugen. Es geht um die Gründung der christliche Gemeinden, die Ausbreitung des Christentums im Römischen Reich und auch um die Auseinandersetzung mit internen Irrlehren. (Krauße, 2022)

 

In der Apostelgeschichte geht es, wie der Name sagt, um die beiden Apostel Petrus und vor allem um Paulus. Sie beschreibt die Ausbreitung des Christentums von Jerusalem nach Rom in die damals aus jüdischer Sicht heidnische Welt. (Brockhaus, 2023a) Der Apostel Paulus hat mit seiner Missionstätigkeit aus einer jüdischen Sondergemeinschaft eine Weltreligion gemacht. Sein theologisches Programm sagt, dass alle Menschen (Heiden) sich zum Glauben an Christus bekennen können, ohne vorher als Juden z.B. die jüdischen Ritualgesetze einhalten zu müssen. (Brockhaus, 2023c)

 

Diese Fragen haben in der frühen Kirche zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. In diesem Kontext sind die Bibelstellen zu sehen. Im Philipperbrief, den Paulus aus der Haft schreibt, warnt er etwa vor anderen Missionaren, welche Christen nichtjüdischer Herkunft auf das jüdische Gesetz verpflichten wollen. (Brockhaus, 2023d)

Aber wie kommt dann der Text auf die Kuppel?

Natürlich geht es bei dem Text um Theologie. König Friedrich Wilhelm IV. ging es um eine bestimmte Herrschaftsauffassung und der Selbstvergewisserung und Zurschaustellung der Rolle der Hohenzollernmonarchie. Ihm ging es um eine Wiederbelebung des Christentums in Verbindung mit der Idee des Gottesgnadentums. Schon als Kronprinz hatte er sich für Architektur interessiert. So war es ihm allgemein ein Anliegen, christlichen Symbolwelten im öffentlichen Raum Geltung zu verschaffen. In Potsdam ließ er als König die Friedenskirche bauen, weil im Schlossensemble Sanssouci christliche Symbolik weitgehend fehlte.

 

Auch das Stadtschloss ist unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Der monströse Kuppelbau geht auf vorherige Ideen, z.B. von Karl-Friedrich Schinkel zurück, die aber bis dato nie realisiert worden sind. Dem barocken Schloss fehlte lange nicht nur eine Kuppel, sondern auch eine richtige würdevolle Schlosskapelle. Beides gab Friedrich-Wilhelm IV. beim Architekten Friedrich August Stüler in Auftrag. Damit verbunden war eine sakrale Herrschafts-Theologie:

 

"Schon die Grundform eines achteckigen überkuppelten Zentralbaus lehnt sich an Vorbilder wie die Geburtskirche in Bethlehem an, die der König besonders schätzte. Sie entstand unter dem römischen Kaiser Konstantin, dem Begründer der Staatskirche, und verkörperte für Friedrich Wilhelm in idealer Weise die enge Bindung von Monarch und Christus. Die prachtvolle künstlerische Ausstattung der Berliner Kapelle unterstrich diesen Aspekt: Die tragenden Pfeiler der Kuppel wurden mit 96 Bildnissen von Männern und Frauen bemalt, die zum Aufbau der christlichen Kirche beigetragen hatten – auf deren Schultern also im übertragenen Sinne das Gebäude der Kirche ruhte. Die Gruppe begann mit Aposteln, Propheten und Märtyrern. Darauf folgten christliche Monarchen des Mittelalters und – folgerichtig in einer protestantischen Kirche – Reformatoren des 16. Jahrhunderts. Der Reigen schloss mit einer Gruppe von Mitgliedern des Hauses Hohenzollern: von Kurfürst Friedrich II. über Joachim II., dem Begründer der Reformation in Brandenburg, bis zum Vater des Erbauers, Friedrich Wilhelm III. Die Kapelle war somit ein Denkmal der christlichen Herrschaft der Dynastie, die ganz selbstverständlich als Teil der 2000-jährigen Heilsgeschichte dargestellt wurde." (Hagemann, 2022)

 

Auch das Äußere der Kuppel sollte ein Zeichen an die Gesellschaft sein: Uber allem thront das Kreuz als Zeichen des Glaubens und der Herrschaft Gottes. (Hagemann, 2022)

Warum ist die Kuppel so umstritten?

Liest man den Text an der Kuppel heute ohne den Kontext seiner Entstehung, dann bringt er einen universellen Geltungs- und Herrschaftsanspruch des christlichen Glaubens zum Ausdruck. Die Schlosskuppel ist aber heute nicht mehr Teil einer christliche Kapelle, sondern das Dach eines profanen Zweckbaus. Schlimmer noch: Das Humboldt Forum zeigt ethnologische Ausstellungen und Sammlungen. Angesichts der kolonialen Vergangenheit Deutschlands widerspricht die Textaussage dem Selbstanspruch des Humboldt Forums nach Weltoffenheit fundamental.

 

Friedrich Wilhelm IV. hing einem christlich-germanischen Staatsideal an mit Vorstellungen zum Ständestaat und Gottesgnadentum. (Brockhaus, 2023b) Somit ist der Text an der Kuppel auch als reaktionäres politisches Programm gegen die bürgerlich-liberalen Forderungen nach einem Verfassungsstaat zu lesen. Schlosskuppel und Text sind in der Zeit der revolutionären Umbrüche um das Jahr 1848/49 entstanden, als das Bürgertum ein vereintes Deutschland auf der Grundlage einer Verfassung und bürgerlicher Rechte einforderte. 

 

Die Entscheidung zur detailgetreuen Rekonstruktion der Schlosskuppel hat sich erst nach und nach ergeben. Der Beschluss zum Bau des Humboldt Forum hatte das zunächst noch offen gehalten, der Wettbewerb aber hatte dann später eine Schlosskuppel vorgesehen. Der Entwurf des Architekten Franco Stella sah tatsächlich ein Kreuz auf der Kuppel vor, was aber kaum auffiel, da sich die Diskussion lange um die Gestaltung der Schlossfassade drehte. Erst eine zweckgebundene Millionenspende der Erben des Ottokonzerns für das Kreuz brachte die Diskussion ins rollen, als der Bau bereits weit fortgeschritten war.  (Goldenbaum, 2020)

 

Überblendung des Textes durch Menschenrechte und Grundgesetz

Claudia Roth wird also nicht die Bibel verbieten. Eine temporäre Kunstaktion von "Leuchtturm Berlin" wird nachts, wenn der vermeintliche Bibeltext ohnehin nicht zu lesen ist, mit Textfragmenten der Menschenrechte und des Grundgesetzes überblendet. So versucht das Humboldt Forum Lösungen anzubieten für Probleme, die es sich selbst in die Wiege gelegt hat. 

Links und Quellen:

Boie, J. (2022, November 2). Bundesregierung will Bibeltext auf dem Berliner Stadtschloss verhüllen: Das ist scheinheilig! | Politik. bild.de. https://www.bild.de/politik/kolumnen/kolumne/bundesregierung-will-bibeltext-verhuellen-scheinheilig-81804626.bild.html

 

Brockhaus Enzyklopädie Online. (2023a, January 14). Art. Apostelgeschichte. www.brockhaus.de. Retrieved January 14, 2023, from https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/apostelgeschichte

 

Brockhaus Enzyklopädie Online. (2023b, January 14). Art. Friedrich Wilhelm IV. www.brockhaus.de. Retrieved January 14, 2023, from https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/friedrich-friedrich-wilhelm-iv

 

Brockhaus Enzyklopädie Online. (2023c, January 14). Art. Paulus. www.brockhaus.de. Retrieved January 14, 2023, from https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/paulus-20

 

Brockhaus Enzyklopädie Online. (2023d, January 14). Art. Philipperbrief. www.brockhaus.de. Retrieved January 14, 2023, from https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/philipperbrief

 

Goldenbaum, L. (2020, May 25). Die Sache mit dem Kreuz. Humboldt Forum. Retrieved January 14, 2023, from https://www.humboldtforum.org/de/magazin/artikel/die-sache-mit-dem-kreuz/

 

Hagemann, A. (2020, May 25). Symbolpolitik. Die Kuppel Friedrich Wilhelms IV. für das Berliner Schloss. Humboldt Forum. https://www.humboldtforum.org/de/magazin/artikel/symbolpolitik/

 

Krauße, B. (2022, November 3). Berliner Schloss: Was hinter dem Streit über den Bibelspruch steckt | Sonntagsblatt - 360 Grad evangelisch. Sonntagsblatt. https://www.sonntagsblatt.de/artikel/debatte/berliner-schloss-was-hinter-dem-streit-ueber-den-bibelspruch-steckt

 

Schupelius, G. (2022, October 31). Bundesregierung will Bibeltext an der Schlosskuppel verhüllen. B.Z. – Die Stimme Berlins. https://www.bz-berlin.de/meinung/kolumne/kolumne-mein-aerger/bundesregierung-will-bibeltext-an-der-schlosskuppel-verhuellen

 

DER SPIEGEL. (2022, November 2). Claudia Roth verteidigt Kunstprojekt zu Bibelzitaten am Humboldt Forum. Retrieved January 13, 2023, from https://www.spiegel.de/kultur/claudia-roth-verteidigt-kuenstlerische-aufarbeitung-von-bibel-zitat-am-humboldt-forum-a-e5584886-a8c6-492b-b982-e1a2fe718e52

 

Roth, G. (2021, December 3). „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen“: Berliner Humboldt Forum überarbeitet christlichen Unterwerfungsspruch. Tagesspiegel Online. Retrieved January 14, 2023, from https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-humboldt-forum-uberarbeitet-christlichen-unterwerfungsspruch-8016733.html 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0